Dienstag, 24. September 2019

Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose

Die Grünliberalen begrüssen, dass der besonderen Situation von älteren Arbeitslosen besser Rechnung getragen werden soll. Das oberste Ziel muss dabei die Rückkehr in die Erwerbstätigkeit sein. Es geht nicht an, dass arbeitsfähige Personen aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, nur weil sie älter sind. Das ist nicht nur für die betroffenen Personen diskriminierend, sondern widerspricht auch den Zielen der Fachkräfteinitiative und der Notwendigkeit, das ordentliche Rentenalter zu erhöhen. Alle staatlichen Massnahmen müssen darauf gerichtet sein, die Arbeitnehmenden länger in der Erwerbstätigkeit zu halten. Gestützt auf diese Grundsätze begrüssen die Grünliberalen die vorgeschlagene Zusatzfinanzierung im Arbeitslosenversicherungsgesetz. Sie haben jedoch grosse Vorbehalte gegenüber der geplanten Überbrückungsleistung für über 60-jährige ausgesteuerte Arbeitslose. Die Massnahmen und Anreize sind vielmehr so auszugestalten, dass auch diese Personen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können.

Die Grünliberalen begrüssen die vorgeschlagene Zusatzfinanzierung im Arbeitslosenversicherungsgesetz (Erhöhung der Beteiligung des Bundes um Fr. 69,5 Mio. pro Jahr in den Jahren 2020 bis 2022). Mit diesen Geldern soll zum einen ein Impulsprogramm zur Förderung der Wiedereingliederung schwer vermittelbarer Personen, insbesondere älterer Arbeitsloser, finanziert werden. Das ermöglicht massgeschneiderte Zusatzmassnahmen wie ein Coaching oder Mentoring. Zum anderen ist im Rahmen eines Pilotversuchs die Ausweitung der Anspruchsvoraussetzungen für arbeitsmarktliche Massnahmen vorgesehen. So soll für über 60-jährige Ausgesteuerte die Teilnahme an Bildungs- und Beschäftigungsmassnahmen ohne Abwarten der heutigen zweijährigen Wartefrist ermöglicht werden. Die Grünliberalen begrüssen diese Massnahmen und erwarten, dass diese im Fall eines Erfolgs fortgesetzt werden.

 

Die Grünliberalen haben hingegen grosse Vorbehalte gegenüber der geplanten Überbrückungsleistung für über 60-jährige ausgesteuerte Arbeitslose. Die Grünliberalen teilen zwar das Anliegen, ausgesteuerten älteren Arbeitslosen, die sich finanziell in einer schwierigen Lage befinden, zu helfen. Es geht um Menschen, die jahrelang viel gearbeitet haben und es trotz ihrer Bemühungen nicht geschafft haben, in die Erwerbstätigkeit zurückzukehren. Eine Überbrückungsleistung, die faktisch einer Frühpensionierung entspricht, ist aber der falsche Weg und widerspricht diametral dem eingangs erwähnten Ziel der Rückkehr in die Erwerbstätigkeit.

 

Die Grünliberalen fordern vielmehr, dass für alle Beteiligte Anreize geschaffen werden, um ältere Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die bereits erwähnten Massnahmen gemäss Vorlage sind dabei ein Schritt in die richtige Richtung, doch genügen sie nicht. Weitergehend muss die Arbeitslosenversicherung auch Weiterbildungen und Umschulungen ermöglichen, ohne dass es zu einer Kürzung der Arbeitslosengelder geht. Sonst kann für Arbeitslose die Hürde zu hoch sein, um auf entsprechende Angebote einzugehen. Ein weiteres Element wäre eine Anpassung der Staffelung der Altersgutschriften in der beruflichen Vorsorge, die heute mit zunehmenden Alter ansteigen und damit ältere Arbeitnehmende für Arbeitgeber „verteuern“. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die bereits beschlossene EL-Reform die Lage älterer Arbeitsloser in der beruflichen Vorsorge verbessern wird. Personen, die mit 58 Jahren oder älter ihre Stelle verlieren, können künftig bei der Vorsorgeeinrichtung ihres früheren Arbeitsgebers versichert bleiben.

 

Bei der Beurteilung der vom Bundesrat vorgeschlagenen Überbrückungsleistung ist im Übrigen zu berücksichtigen, dass Männer, die mit 62 ½ Jahren, und Frauen, die mit 61 ½ Jahren einen Anspruch auf die maximale Arbeitslosenentschädigung erlangen, heute grundsätzlich nicht ausgesteuert werden, weil sie nach dem letzten Taggeldbezug bei der Arbeitslosenversicherung das AHV-Alter erreichen (vorausgesetzt, eine Vermittlung ist aus Gründen des Arbeitsmarktes unmöglich oder stark erschwert; vgl. erläuternden Bericht, Ziff, 1.1.4.2 und 3.1.2). Insofern fokussiert die Vorlage auf Personen im Alter zwischen 58 und 62 ½ bzw. 61 ½. Wieso genau dieser Personenkreis besonders unterstützt werden soll, bleibt jedoch unklar, was verdeutlicht, wie willkürlich der Vorschlag letztlich ist: Sind Personen, die mit 57 Jahren arbeitslos werden, weniger unterstützungsbedürftig als 58-Jährige?

 

Besonders problematisch ist, dass der Bundesrat im erläuternden Bericht zu suggerieren scheint, dass der Bezug von Sozialhilfe „würdelos“ sei und dass es daher die Überbrückungsleistung brauche (diese gewährleiste „einen gesicherten Übergang in die Pensionierung in Würde“, siehe Ziff. 1.3 des erläuternden Berichts). Die Grünliberalen lehnen die Vorstellung ab, dass der Bezug von Sozialhilfe in irgendeiner Weise würdelos ist. Sie ist eine wichtige Errungenschaft unseres modernen Sozialstaats und ein rechtlicher Anspruch der betroffenen Person, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Für die Grünliberalen ist zentral, dass die Sozialhilfe bedürfnisgerecht ausgestaltet ist und ein Leben in Würde ermöglicht. Sollte der Bundesrat der Meinung sein, dass die Sozialhilfe diesem Anspruch heute nicht genügt, sollte er zusammen mit den dafür zuständigen Kantonen eine Anpassung der Sozialhilferichtlinien diskutieren (z.B. dass ältere Ausgesteuerte ihr eigenes Vermögen bis zum Erreichen des Rentenalters weniger stark aufbrauchen müssen), anstatt mit der Überbrückungsleistung eine neue Sozialversicherung schaffen, die neue Ungerechtigkeiten schafft. Bei dieser Gelegenheit erinnern die Grünliberalen an die Motion 17.4167 Bertschy Kathrin, mit der ein Konkordat oder sonst ein schlankes Rahmengesetz in der Sozialhilfe verlangt wird.

 

Sollte der Bundesrat nach der Vernehmlassung an der Schaffung einer Überbrückungsleistung festhalten, erwarten die Grünliberalen in der Botschaft eine vertieftere Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Überbrückungsleistung tatsächlich EU-/EFTA-Bürgerinnen und -Bürgern vorenthalten werden kann, die Beiträge an andere Sozialversicherungen als die schweizerische AHV geleistet haben. Es besteht das Risiko, dass die EU die im erläuternden Bericht vorgenommene Qualifikation der Überbrückungsleistung als „Vorruhestandsleistung“ im Sinne der Verordnung (EG) NR. 883/2004 nicht akzeptieren wird (vgl. erläuternden Bericht, Ziff. 5.2). Daraus könnte sich die Forderung ergeben, dass die in einem EU- oder EFTA-Staat zurückgelegten Versicherungszeiten bei der Mindestversicherungszeit der schweizerischen Überbrückungsleistung berücksichtigt werden. Das würde für den Bund zusätzliche Kosten in noch unbekannter Höhe auslösen, was für die Beurteilung des Vorschlags wesentlich wäre. Es braucht daher zu diesem Punkt Rechtssicherheit.