Samstag, 19. Januar 2019

Mehr Innovation und Wettbewerb für die Schweiz

Rede von Parteipräsident Jürg Grossen an der Delegiertenversammlung der Grünliberalen Schweiz vom 19. Januar 2019 in Liestal (BL).

Liebe Delegierte

 

Nach unseren Schwerpunktthemen Klima und Europa möchte ich mich zum Beginn des Wahljahres zu einem weiteren Kernthema, einem dritten politischen Pfeiler der Grünliberalen äussern. Der Wirtschaftspolitik. Oder mit Blick auf die sich dem Ende zuneigenden Legislatur eher der «verkrusteten Wirtschaftspolitik».

 

Leider dominieren im Bundeshaus Protektionismus, Innovationsfeindlichkeit und das Sichern von «Pfründen und alten Zöpfen». Diese Entwicklung, dieser Hang zum Bewahrenden ohne Perspektive, zum Nichtfortschritt macht mir Sorgen. Es mangelt an Weitsicht und Mut!

 

Der Wohlstand der Schweiz beruht seit jeher auf Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit. Dieses Erfolgsmodell wird aufs Spiel gesetzt, wenn neue Technologien und fairer Wettbewerb bekämpft werden, statt darin eine Chance zu sehen. Nicht nur die Politik, auch viele Unternehmen – oftmals solche mit Staatsbeteiligung – wollen mit Marktabschottung ihre Pfründe sichern. Langfristig schwächt eine solche Politik die Innovations- und Wirtschaftskraft der Schweiz und damit unseren Wohlstand. Die Grünliberalen wollen stattdessen mehr Wettbewerb. Viele Schweizer Exportfirmen zeigen, wie weit sie damit gekommen sind. Diese Grundhaltung muss insbesondere auch im Schweizer Binnenmarkt gestärkt werden. Innovative Geschäftsmodelle sollen nicht wegreguliert, sondern ermöglicht werden.

 

Wir müssen das der Bevölkerung klar vermitteln und wir dürfen ohne dabei rot zu werden sagen:


Wer die Grünliberalen wählt, stimmt für Innovation und Wettbewerb!

 

Wir fordern damit übrigens nichts Neues. Die Schweizer Wirtschaft, gerade die Industrie, aber auch die Dienstleistungsbranche musste sich immer wieder neu erfinden. Nur die Unternehmen, die sich ständig gewandelt haben und neuen Entwicklungen mit Offenheit gegenübergetreten sind, haben bis heute überlebt.

 

In der Schweizer Politik geht es leider in die entgegengesetzte Richtung. Statt in der Digitalisierung und neuen Arbeitsformen eine Chance zu sehen, setzt man auf neue Regulierungen, um diese Entwicklung abzuwehren. Statt sich auf einen starken Staat bei seinen Kernaufgaben zu fokussieren, konkurrenzieren Staatskonzerne die Privatwirtschaft ganz direkt. Und statt endlich auf Intelligenz zu setzen, werden weiter Milliarden an Steuergeldern in Teer, Beton und Kupferleitungen verlocht.

 

Nun ganz konkret:

 

Digitalisierung / Neue Arbeitsformen

 

Digitalisierung und Innovation werden von vielen nur als Schlagworte gebraucht. Es lässt sich nicht von der Hand weisen, die Digitalisierung hat unseren Alltag zuhause und am Arbeitsplatz stark verändert und wird das auch in Zukunft machen. So wurde innerhalb weniger Jahre aus dem Nationalen Autotelefon – dem NATEL – das Mobiltelefon. Heute sprechen wir vom Smartphone und fragen uns manchmal, wie die Dinge ohne Handy früher überhaupt funktionieren konnten und wie wir ohne Google irgendetwas gefunden haben. Wir buchen unser Hotelzimmer oder die Ferienwohnung nicht mehr in einem Reisebüro, sondern über eine Plattform. Wir rufen uns kein Taxi mehr, sondern nutzen eine Ride-Sharing App wie Uber – zumindest in den Kantonen, wo das erlaubt ist. Und unsere Bankgeschäfte erledigen wir wann und wo wir auch immer wollen. Und seit vielen Jahren bediene ich das Garagentor, die Beleuchtung, die Storen, etc. über das Smartphone statt über Schalter, die immer am falschen Ort sind. Doch am allermeisten hat die Innovation das Arbeitsmodell vieler Menschen verändert.

 

Immer mehr Leute arbeiten heute ganz anders als früher, nicht einfach von 8-17 Uhr an einem fixen Arbeitsplatz. Gerade im Dienstleistungsbereich ist es dank der technischen Entwicklungen möglich geworden, die Arbeitszeit freier einzuteilen und auch den Arbeitsort flexibler auszuwählen. Das ermöglicht Freiheit, Lebensqualität und damit letztlich auch eine höhere Qualität der Produkte und Dienstleistungen. Diese Entwicklungen bergen wie jeder Wandel auch Risiken, denen mit Bedacht begegnet werden muss. Nur deswegen auf Verweigerung und Stillstand zu setzen, würde sich aber sehr bald bitter rächen. Ja, für die betroffenen Branchen ist das eine grosse Herausforderung. Viele Schweizer Unternehmen und auch Start-Ups stellen sich dieser erfolgreich. So entstehen neue Arbeitsplätze und weitere Innovation. Doch gerade die grossen, oftmals trägen Marktgiganten möchten ihre Pfründe anders sichern: Sie lobbyieren bei den Politikern. Und das leider bisher erfolgreich. Die Folge ist dann eine unnötige Lex-Booking.com, wie sie der Nationalrat auf Druck der Hotellobby beschlossen hat – mit nahezu einsamer Opposition der Grünliberalen. Dabei bieten uns Buchungsplattformen wie Booking.com und andere einen Service und Komfort, wie wir ihn vorher nie gekannt haben. Ein anderes Negativ-Beispiel ist die Lex-Swisscom, wie sie der Nationalrat jüngst beim Fernmeldegesetz beschlossen hat. Damit wird die staatseigene Swisscom vor mehr Konkurrenz geschützt, statt einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen.

 

Oder es werden Ride Sharing Angebote wie Uber verhindert. Beispielsweise in meinem Kanton Bern. Da schreibt unsere Verordnung unter anderem vor, dass der Fahrtpreis an der Fahrertür des Fahrzeuges und nicht in einer App angeschrieben sein muss. Und das im Jahr 2019, wo sind wir angekommen?

Ich will wie erwähnt keineswegs sagen, dass die Digitalisierung und neue Arbeitsformen keine Herausforderungen mit sich bringen. Wirtschafts- aber auch sozialpolitisch. Aber dann müssen wir Lösungen suchen, wie wir diese neuen Entwicklungen so begleiten, dass möglichst alle davon profitieren und niemand zurückgelassen wird. Das Gefühl zu haben, wir können diese globalen Trends mit protektionistischen Gesetzen verhindern, ist völlig naiv und es wird unser Land ins Hintertreffen bringen.

 

Deshalb gilt gerade beim Thema Digitalisierung und neuen Arbeitsformen:



Wer die Grünliberalen wählt, stimmt für Innovation und Wettbewerb und gegen Marktabschotter und Protektionismus.

 

Staatskonzerne

 

Ein anderer Bereich, der in der laufenden Legislatur für Schlagzeilen gesorgt hat, sind die Staatskonzerne.

 

Die Skandale bei Postauto und Ruag würde ich wie folgt zusammenfassen: Es geht um Betriebe, die Teil von grossen Staatskonzernen sind, mit Aufträgen des Staates gespiesen und vom gleichen Staat kontrolliert werden. Unser System beisst sich also selbst in den Schwanz.

 

Schon lange vor diesen Skandalen war die Linie der Grünliberalen klar: Wir wollen, dass sich die staatlichen Konzerne auf ihre wichtigen Kernaufgaben im Bereich des Service public konzentrieren und nicht in private Märkte vordringen.

 

Viele Unternehmen im Staatsbesitz erbringen heute nämlich sowohl Dienstleistungen mit Monopolcharakter als auch solche am freien Markt. Das betrifft Unternehmen im Besitz des Bundes wie die Post, die Swisscom oder die Ruag genauso wie kantonale Unternehmen, beispielsweise Energieversorger, IT-Unternehmen oder Gebäudeversicherungen. Diese Entwicklung ist wettbewerbspolitisch problematisch, weil es sich nicht um einen Wettbewerb mit gleich langen Spiessen handelt. Die staatlichen Konzerne kommen über den Monopolbereich zu einer enormen Marktmacht. Sie haben einen gesicherten Zugang zu allen Kunden im Monopolgebiet und es gibt verzerrende Querfinanzierungen, wie der Fall Postauto zeigt.

 

Die Grünliberalen wollen nicht dogmatisch privatisieren. Es gibt selbstverständlich Bereiche, wo der Staat eine wichtige Aufgabe hat. Das Schienennetz oder auch die Stromnetze sind natürliche Monopole. Bei solchen Generationenprojekten kommt dem Staat eine Schlüsselrolle zu.

 

Anders sieht es aber bei Dienstleistungen, beispielsweise bei Finanzdienstleistungen aus. Die Postfinance bewegt sich im Kerngeschäft auf einem freien und funktionierenden Markt.

 

Aber die Postfinance ist weder Fisch noch Vogel. Sie hat zwar eine Banklizenz, darf wegen der staatlichen Beteiligung aber keine Kredite und Hypotheken vergeben. Diese Situation ist weder für den Bund noch für die Postfinance sinnvoll. Mit einer Motion verlangen wir deshalb die Privatisierung der Postfinance. Im Gegenzug soll das geltende Kredit- und Hypothekenverbot für die Postfinance aufgehoben werden.

 

Statt diese nötige Entbündelung beim riesigen Postkonzern endlich an die Hand zu nehmen, macht die Mehrheit unseres Parlamentes aber das Gegenteil. Im Postgesetz wird eine Bestandesgarantie an Poststellen festgeschrieben, obwohl immer weniger Leute hingehen.

 

Deshalb gilt auch beim Thema Service Public und Staatsbetriebe:

 

Wer die Grünliberalen wählt, stimmt für Innovation und Wettbewerb und gegen Strukturerhaltung und Selbstbedienung.

 

Intelligenz

 

Der dritte Bereich, den ich ansprechen möchte, ist der fehlende Wille zur Innovation bei Infrastrukturausbauten. Statt endlich auf Intelligenz zu setzen, verlochen wir hier Milliarden von Steuergeldern für Teer, Beton und Kupferleitungen.

 

Erst jüngst hat die Verkehrskommission des Nationalrats beschlossen, dass sie zusätzlich zum Plan des Bundesrats eine weitere Milliarde für den Ausbau der Nationalstrassen ausgeben will. Unter anderem für eine völlig überdimensionierte Autobahn in Luzern auf je 5 Spuren. Der Bundesrat hat zudem kürzlich bekannt gegeben, dass er die Hauptautobahnen auf durchgehend je 3 Spuren ausbauen will.

 

Liebe Grünliberale, damit subventionieren wir faktisch Tiefbauunter-nehmen mit hunderten von Millionen. Diese Steuergelder wären viel besser in intelligente Verkehrssteuerungen, Car-Sharing, Car-Pooling und auch in autonomes Fahren investiert. Das autonome Fahren ist zwar für viele heute schwer vorstellbar, genauso wie es Smartphones noch vor 15 Jahren waren. Trotzdem kommen selbst-fahrende Fahrzeuge, und das wird den Bedarf an Strasseninfrastruktur merklich beeinflussen. Auf den vorhandenen Strassen kann wesentlich mehr Verkehr abgewickelt werden und es braucht viel weniger Parkplätze. Und diese Vorteile erleben wir, noch bevor allfällige Strassenausbau-projekte umgesetzt sind, davon bin ich überzeugt. Die Schweiz hat dann auf Teer und Beton gesetzt und damit auf der Rückbank Platz genommen, am Steuer werden andere sitzen, nämlich diejenigen, die auf Intelligente Mobilitätslösungen gesetzt haben. Das darf nicht passieren. Anstatt unsere Steuergelder in Lösungen und Unternehmen zu investieren, die Innovation schaffen, welche die Schweiz fit für die Zukunft macht, wird an verkrusteten Denkweisen und alten Zöpfen festgehalten. Ich bin fest davon überzeugt, die Schweiz wird in der globalisierten Welt nicht mit Strassenbau, sondern mit Intelligenz, mit fortschrittlichen Systemen wettbewerbsfähig bleiben.

 

Intelligenz statt Kupferleitungen

 

Aber es ist nicht nur die Verkehrsinfrastruktur, auch im Energiebereich wird in eine alte Welt investiert. Statt den Strommarkt und das Zählerwesen vollständig zu liberalisieren, will der Bundesrat immer noch unnötig doppelte Kupferleitungen und doppelte Stromzähler installieren lassen und die Stromversorger ungerechtfertigt bevorzugen. Die Ziele der Energiestrategie 2050 werden so nie erreicht. Jedes Gebäude muss nämlich zum Kraftwerk werden und seinen Strom für Wohnen und Fahren ganz oder teilweise selbst produzieren. Es ist an der Zeit, mit der Schweizer Energieversorgung im Zeitalter der Digitalisierung anzukommen. Es braucht Reformen nach dem Motto «Intelligenz statt Kupfer». Im Rahmen der Energiestrategie konnten wir Grünliberalen endlich Eigenverbrauchsgemeinschaften über Mehrfamilienhäuser bis zu ganzen Quartieren ermöglichen. Die Regulierung muss nun aber noch massiv vereinfacht werden. Nur damit werden die Anreize zur Dezentralisierung der Stromversorgung richtig gesetzt. Obwohl die Technik und die Digitalisierung heute einfachste Lösungen erlauben würde, verlangt das Gesetz doppelte Infrastrukturen oder gar den unnötigen Rückbau von bestens funktionierenden Leitungen, eine wahrhafte «Schildbürgerei».

 

Deshalb gilt erst recht bei Fragen der Infrastruktur:

 

Wer die Grünliberalen wählt, stimmt für Innovation und Wettbewerb und gegen eine Anbauschlacht mit Teer, Beton und Kupfer.

 

Fazit / Ausblick

 

Der Rückblick war zugegeben nicht besonders positiv, es besteht Handlungsbedarf hüben und drüben. Aber ich bin optimistisch, dass wir ab Herbst 2019 wesentlich mehr Einfluss nehmen können. Wir brauchen ein wettbewerbs- und innovationsfreundlicheres Parlament und dafür stehen wir Grünliberalen.

 

Mit der Verbindung von Wirtschaft und Umwelt, der Öffnung gegenüber Europa und dem Rest der Welt und unserer positiven und fortschrittlichen Grundhaltung zu Innovation und Veränderung. Das müssen und werden wir den Wählerinnen und Wählern vermitteln. Setzen wir dem Negativdiskurs der links- und rechtskonservativen Parteien bewusst einen starken Chancendiskurs gegenüber und brechen wir die verkrusteten Strukturen der Schweizer Politik auf!



Es braucht mehr Grünliberale im Bundeshaus!